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Impuls zum 31. Dezember 2023

Zum Sonntag in der Weihnachtsoktav

Von Susanne Warmuth (Aschaffenburg), Geistliche Beirätin von pax christi Würzburg

 „Ein ganzes Leben“
In den Kinos läuft gerade der Film „Ein ganzes Leben“ (nach dem gleichnamigen Roman von 
Robert Seethaler aus dem Jahr 2014). Der Film zeigt das einfache und entbehrungsreiche Leben des Andreas Egger. Als Waisenkind kommt er auf den Bergbauernhof seines Onkels. Er wird dort lieblos behandelt und als Arbeitskraft ausgenutzt. Nach seinem Weggang vom Hof schlägt er sich als Knecht und Handlanger durch, arbeitet später bei einer Firma, die Seilbahnen in den österreichischen Alpen baut. Die Ehe mit Marie ist für ihn das größte Glück. Doch seine schwangere Frau stirbt bei einem Lawinenabgang. Andreas Egger ist danach innerlich heimatlos. Er wird Soldat im 2. Weltkrieg und erlebt einige Jahre Gefangenschaft in Russland, bevor er wieder in sein Heimatdorf zurückkehrt. Dort hat sich vieles verändert, der „Fortschritt“ ist eingezogen, das meiste davon bleibt ihm aber fremd. – Am Ende des Films blickt Andreas Egger zurück. Obwohl er soviel Unrecht und Leid erfahren hat, schaut er mit Demut und großer Dankbarkeit auf sein Leben. – Der Film hat mich sehr berührt und bewegt. Und auch beschämt, wenn ich bedenke, wie groß oft meine Unzufriedenheit ist angesichts kleiner unwichtiger Vorkommnisse.

Lesung Kol 3,12 – 21
Die Lesung aus dem Kolosserbrief beinhaltet einen langen Tugendkatalog. So vieles sollen wir in uns tragen und nach außen zeigen: Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld u.a. Um von den vielen guten Ermahnungen nicht überfordert zu werden, beschränke ich mich heute auf den Vers 13. 

Ertragt einander und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat! Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!

Jahresende – Jahresrückblick

Das Ende eines Jahres ist für viele Anlass, um zurückzublicken und Bilanz zu ziehen.

Was war gut im vergangenen Jahr? Wofür bin ich besonders dankbar? Was war das schönste Erlebnis? Wer oder was hat mich positiv überrascht?

Aber natürlich wird auch die andere Seite angeschaut. Was habe ich falsch gemacht? Hinter welchen Erwartungen bin ich zurückgeblieben? Was konnte ich nicht zu Ende bringen? Bei wem sollte ich mich entschuldigen?
Es gibt noch andere „Posten“ in einer Bilanz, die oft nicht so leicht zu benennen und auch nicht so leicht zu beurteilen sind. Es sind Sachverhalte, zu denen mir die Adjektive ambiva-lent, verworren, kompliziert einfallen.  Vielleicht sind es Auseinandersetzungen, die noch in mir arbeiten oder brodeln, die nicht gut verarbeitet werden konnten und unter den Teppich gekehrt wurden. Oder es sind die Wunden, die ich mir selbst und anderen zugefügt habe oder die mir zugefügt wurden. Oder die kleinen Armseligkeiten im alltäglichen Leben, die schlechten Gewohnheiten, die alten Antipathien, die einfach ans neue Jahr vererbt werden. Oft haben diese Altlasten eine lange komplizierte Geschichte und sind nicht leicht zu bearbeiten, manchmal gibt es auch keine gute Lösung mehr dafür. Aber solange ich sie mit mir herumtrage, leide ich darunter und andere wahrscheinlich auch.

Ertragen und vergeben
Ich möchte auf den Vers 13 aus dem Kolosserbrief verweisen: Ertragt einander und vergebt einander, wenn einer dem anderen etwas vorzuwerfen hat! Wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! 

Wenn man das Gebot der Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe in seiner Bezogenheit ernst nimmt, dann könnte man den Vers 13 noch wie folgt ergänzen.

Ertragt einander und vergebt einander – und dazu: ertrage Dich selbst und vergebe Dir selbst – wie der Herr Dir vergeben hat.

Mich selbst ertragen, mir meine Armseligkeiten und meine Unzulänglichkeiten vergeben, das ist schwer. Aber sie mit mir herumtragen, das kann bedeuten, dass eine tiefe Verbitterung entsteht. Welche innere Freiheit kann dagegen wachsen, könnten wir Bitterkeit und Härte im alten Jahr zurücklassen. Unter das, was letztlich krank macht, „einfach“ einen Strich ziehen. Dann wäre wieder Platz und Raum für Anderes, wir hätten wieder Augen und Gespür für das Neue, Lebendige, das uns geschenkt wird. Wir können es vielleicht allein nicht schaffen, aber da wir Gott an unserer Seite wissen, dürfen wir es wagen. 

Segen ausstrahlen statt Bitterkeit und Härte 
Das Gedicht „Sichtbarer Segen“ von Tina Willms spricht das aus, was mir in diesem Zusammenhang am Herzen liegt.

Sichtbarer Segen
Alle Härte,
die gewachsen ist
an den schweren Tagen;
nimm von uns,
guter Gott.
Und wisch auch
die Bitterkeit beiseite,
die eingesickert ist 
durch das, was enttäuschend 
oder schwer zu verkraften war. 
Zünde in uns
dein Licht an,
du Licht der Welt,
damit unser Antlitz
zu leuchten beginnt.
Zeichne uns
mit deinem Segen,
damit er durch uns
sichtbar wird
in Dörfern und Städten.

Tina Willms 2)

Liedvorschlag
Der du die Zeit in Händen hast,
Herr, nimm auch dieses Jahres Last
und wandle sie in Segen. 

Gl 257 – Text Jochen Klepper


1) Am Sonntag in der Weihnachtsoktav wird in der Kath. Kirche üblicherweise das Fest der Hl. Familie gefeiert. Da im Jahr 2023 dieser Sonntag auf den 31. Dez. fällt, möchte ich jedoch einen Impulstext zum Jahresende schreiben.

2) Tina Willms, Sichtbarer Segen
in: Tina Willms, Zwischen Stern und Stall, Neukirchener Verlag 2020, S. 196
Mit freundlicher Abdruckerlaubnis der Autorin.